Meine erste Hantel hielt ich im zarten Alter von 13 Jahren in der Hand. Ein ziemlich junges Einstiegsalter…wie es dazu kam? Ich war immer ein Fliegengewicht und nicht gerade das, was ein junges Mädchen wollte (und in diesem Alter zählen die Girls). Ausgestattet mit einer dicken großen Brille, einer festen Zahnspange und einem Beatles-Haarschnitt ist es verdammt schwer ein Mädchen von sich zu überzeugen.

…Kurz gesagtich war das, was in unserer Gesellschaft optisch einen Informatiker-Nerd ausmacht, um beim Klischee zu bleiben.

Meine beste und einzige Freundin zu dieser Zeit war ein absoluter Jean Claude van Damme Fan und ständig musste ich mir anhören, wie geil dieser Typ ist. Als sie mir dann einmal mit einer Hand komplett um den Oberarm fassen konnte und sich darüber noch lustig machte, war für mich wohl der Break Even Point erreicht. So konnte es nicht mehr weiter gehen.

Also landete ich beim Zeitschriftenhandel. „Ah die Flex…ne die Typen sind mir zu freaky!“. „Oh da steht noch die Mens Health, nicht nur gute Körper inkl. Trainingstipps, sondern auch Stil usw!“. Genau das richtige für mich. In dieser Ausgabe fand ich auch einen Leitfaden zum Kurzhanteltraining in den eigenen vier Wänden. Nun mussten nur noch zwei Kurzhanteln her und die Sache konnte losgehen. Da ich sportlich immer sehr aktiv war, war ich von Anfang an mit einem niedrigen Körperfettanteil gesegnet. Über die Ernährung machte ich mir zu dieser Zeit gar keine Gedanken…ganz brav immer das gegessen, was die Eltern serviert hatten. Nach 2 Jahren Training täglich fühlte ich mich schon ziemlich cool. Ohne Zweifel fiel ich neben meinen Altersgenossen deutlich auf, vor allem im Freibad und hey…“thats what i wanted“. Parallel zum Bodybuilding veränderte sich auch mein Wesen und Erscheinungsbild…ich wurde selbstbewusster, disziplinierter und achtete auf mein Erscheinungsbild. Neuer Haarschnitt, anständige „hippe“ Kleidung, Kontaktlinsen…das volle Programm. Traurig aber wahr, die Leute reagierten plötzlich komplett anders auf mich. Frauen? Kein Thema mehr, die kamen von selbst, ebenso ein ansehnlicher Freundeskreis.

Mein Körperbild änderte sich in den darauffolgenden Jahren kaum noch. Von richtigem Training hatte ich keine Ahnung. Irgendwann bekam ich von meinen Eltern 1 Jahr Fitnessstudio geschenkt. Hier verbrachte ich dann täglich mehrere Stunden und trainierte mit einigen Leuten als würde es kein Morgen geben. Die Disziplin im Training strahlte auch andere Lebensbereiche an. Aus einem eher schlechten Schüler wurde ein zwanghafter Klassenbester, der jede Arbeit als eine Art Wettkampf ansah. Er wollte einfach der Beste sein. Weitere Jahre vergingen und mit 19 bekam ich Zugang zu diesem komischen Phänomen, dass man Internet nennt. Irgendwann sagte ein Trainingskollege, ich sollte mich doch mal auf einem Forum anmelden. Hier wurde ich dann von einer ganz anderen Welt des Bodybuildings erschlagen! Gleichgesinnte! Überall Gleichgesinnte! Und überall die gleichen Probleme wie ich! Toll! Oder auch nicht!?!?

Mit 20 lernte ich zum Glück einen User namens Arnold kennen, der mich zum Glück vor den bösen AAS abhielt. Er „kümmerte“ sich um mich, zeigte mir Wege und Türen auf meinen Körper ohne Chemie zu verbessern. Also lernte ich neue Trainingsarten und Systeme kennen…auf einmal wusste ich sogar, was ein richtiger Split ist oder ein ZNS oder dieses böse Übertraining, von dem alle in Foren sprachen. So etwas war mir bisher fremd.

Ab diesem Zeitpunkt ging es mit meinem Körper „steil“ nach oben…ich entwickelte mich endlich weiter, meine Kraft stieg ebenso wie meine Umfänge. Heute, mit 24 Jahren und 11 Jahren Eisenkontakt, sehe ich viele Dinge mit anderen Augen als früher.

Zum einem liegt das sicherlich am Alter, zum anderen einfach an der Trainingserfahrung und den Fortschritten. Ich bin froh heute an diesem Punkt zu sein…gar nicht des Körpers wegen, sondern primär wegen der kaputten Gedankenwelt eines jungen Bodybuilders. Sieht man sich in Foren um, so trifft man immer wieder auf die gleichen Themen alá „Hilfe meine Brust wächst nicht“ oder „keine Fortschritte mehr seit 3 Wochen! Übertraining?“. Ihr wisst sicherlich was ich meine. Ganz in dieses extrem bin ich wohl nie abgerutscht, allerdings war auch ich immer auf der Suche nach dem goldenen Bodybuilding-Gral. Welches Trainingssystem ist das Beste? Wie muss ich andere Faktoren beeinflussen? Wieso ist XY so gut? Und vor allem, wieso ich nicht?

Heute sehe ich auf diese Fragen in einer komplett anderen Perspektive. Früher regte es mich oft auf, dass die meisten fortgeschrittenen Athleten sich einen Dreck um die ernsten Fragen der Anfänger kümmerten, sie müssten doch wissen wie der Hase läuft. Aber Fehlanzeige, sie reagierten nicht. Also bekam man Tipps von Leuten, die

  • selbst eher Anfänger sind,
  • dementsprechend aussehen,
  • irgendwelche Dinge aufschnappen und nach stille Post Verfahren weitergeben
  • wild mit irgendwelchen Studien um sich schmissen

Die Antwort auf beinahe alle Forenfragen ist immer die gleiche:

„Du bist noch nicht lange genug am Eisen.“

Wieso wächst die Brust nicht? Weil du nur 60kg auf 180cm hast und nur 50kg drückst, deswegen. Dies ist aber eine Antwort, die kein Anfänger gerne hört und wenn dann kriegt derjenige der diese Wahrheit aussprach von anderen Anfängern eine auf den Deckel, nach dem Motto „na hilf ihm doch und spam hier nicht rum“. Dies ist die größte Schattenseite der Internetwelt. Der Anfänger will etwas hören wie „versuchs mal mit Reduktionssätzen/HIT/Supersätze bla bla, dass hat bei mir richtig reingehauen (sagt der Kerl der immerhin 70kg auf 180cm bringt).“ Die Wahrheit dagegen will niemand hören, nämlich das es lange dauert, es kein Patentrezept gibt und der einzige Weg die stetige Progression der eigenen Leistung ist.

Das soll jetzt nicht heißen, dass Anfänger keine Ahnung haben. Das wäre falsch…oft haben Anfänger von der Theorie mehr Ahnung als Fortgeschrittene, aber es fehlt ihnen an Erfahrung und Objektivität. So wird aber schnell ein einfacher Sport unnötig kompliziert gemacht und Verzweiflung macht sich breit…was jetzt trainieren? HIT? Heavy Duty? Split? GK? HST?

Möchte jemand nen Split trainieren kommt Pauschalantwort „hier hast du nen link GK vs Split, mach GK“. Und das lustige an der Geschichte ist, viele Foren, viele Trends, viele Widersprüche. Dazu dann noch irgendwelche Studien, die falsch interpretiert werden, denn kaum eine Studie hat sich wirklich bisher dem reinem Bodybuildingtraining verschrieben und selbst wenn, dann nie an erfahrenen Athleten, sondern irgendwelchen Medizinstudenten, die noch nie eine Hantel in der Hand hatten und auch von Wattebäuschchen schmeißen hypertrophieren würden. Kein Wunder also, dass da manche verzweifeln.

Im Endeffekt ist die Sache so einfach. Such dir ein System, welches dir persönlich liegt und zu deinem Umfeld passt (Beruf, Familie, Freunde…muss ja alles unter einem Hut, dazu noch andere Sportarten), dir Spaß bereitet, dir Steigerungen beschert und bleib dabei. Solange diese drei Faktoren erfüllt sind, kann nichts dramatischeres passieren… außer natürlich, dass jemand ein paar kg Muskelmasse über die Jahre aufbaut. Egal welches System ich probierte, jedes das mir Spaß machte, in meine Situation passte und mir Steigerungen bescherte machte mich auch muskulöser. Reiz, Wachstum, Progression…das sind die wichtigen Dinge im Bodybuilding. Und wenn man erstmal 100kg in Serie drückt und dabei 80kg auf 180cm bei 10% KFA hat, dann beschwert man sich auch nicht mehr über eine schlechte Brustmuskulatur.

Realismus ist hier aber ein entscheidender Faktor. Jeder kennt das, man durchstöbert das BB-Foren-Netz und da ist er auf einmal…Mr. Supergenetik, der 30kg in 2 Jahren Training aufgebaut hat, natürlich natural. Dieser lässt sich bejubeln und sagt wie einfach alles ist, hart trainieren und essen, das ist alles. Na toll…dankeschön oder?

Und jetzt der Realismus. In den ersten Jahren mag man noch gut aufbauen, keine 30kg, aber 8kg könnten in 2 Jahren (je nach Ausgangssituation) drin sein. Irgendwann kommt ein böser Punkt und der Körper wehrt sich gegen weitere Muskelmasse. Er will sie nicht, die muss er nur versorgen, kühlen, schleppen usw. Ab hier kann man froh sein, wenn man pro Jahr 2-4kg Magermasse pro Jahr aufbaut. Mr. Supergenetik, was ist mit dem? Die meisten von denen sind wohl bessere Märchen, denn wenn das im Sport alles so leicht wäre, vor allem als Natural, wieso bringt dass dann die Welt-Natural-Elite nicht hin? Seit 60 Jahren haben sie „nur“ einen FFMI von Körpergröße minus 95 bis 100. Dies entspricht ungefähr einer Körpergröße von 180cm und 90kg bei 10% KFA. Dies schafft die Elite des Naturalsports, nicht der Durchschnitt. Und diese Herren haben meist über 10 Jahre hartes Training hinter sich, die Weltmeister sogar manchmal über 20 Jahre Training. Wieso ist dieser Mr. Supergenetik dann noch auf keiner Bühne aufgetaucht, um der Welt mal zu zeigen wo der naturale Hammer hängt? Hmmm komische Geschichte nicht wahr.

Elektronisches Papier ist eben doch mehr als nur geduldig und für manche ist es schön, im Netz einen ungeheuren Zuspruch zu bekommen. Würdet ihr euch lieber nieder machen lassen, weil ihr z.B. seit 3 Jahren Medikamente nehmt wie ein Irrer oder wollt ihr lieber ein Star sein, der von allen Anfängern etc angehimmelt wird? Manchen ist zweiteres eben lieber. Ich finde das auch völlig legitim, jeder soll machen was er denkt. Schlecht ist das nur für die Anfänger, die beinahe schon in Depressionen verfallen…was mach ich denn falsch? Nichts, solange du diszipliniert an dir arbeitest.

Im Endeffekt kann jeder im Bodybuilding was erreichen. Nicht unbedingt den Mr. Universe Natural, aber sein Erscheinungsbild kann jeder zum positivem entwickeln. Dazu ist es nur notwendig diszipliniert und regelmäßig ins Training zu gehen und sich dort stetig zu steigern. Dazu noch eine ausgewogene auf den Sport ausgelegte Ernährung und schon sind nur noch einige Jahre bis zum (bitte realistischen) Traumkörper nötig.

Für mich gibt es im Bodybuilding nur noch einen Schritt zu gehen. Irgendwann möchte ich auf einer Natural-Bühne stehen, mit anderen die diesen Sport genauso lieben wie ich. Dabei geht es noch nicht einmal um den Sieg, vielmehr um das „ich war dabei und hab das mal für mich gemacht“. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist weiß ich bis dato noch nicht…aber er wird kommen.

Im Bodybuilding wird auch oft der Faktor „Hobby“ unterschätzt. Keiner von uns kann mit diesem Sport Geld verdienen (nicht einmal normale Pros können das). Jeder hat also einen Job, eine Familie, Freundin, Schule, irgendwelche Verpflichtungen eben, die genauso gepflegt werden wollen. Hier ein richtiges Maß an sportlichem Engagement und Manie zu finden ist auch sehr wichtig. Oft liest man von jungen Athleten, die eine Bier-Tour mit Freunden ausfallen lassen, da sie ihre Regeneration brauchen oder was zum Essen oder das ist katabol usw. Neben all dem Bodybuilding sollte man nie vergessen, dass das Bodybuilding das Leben bereichern soll, nicht einschränken. Jede/r Partner/in, jede Mutter, Vater, Freundin hat lieber einen Mann/eine Frau, der/die 5% mehr KFA und 5kg weniger Muskelmasse als ein Covermodell hat, dafür aber aktiv lebt und mit anderen ein Leben teilt. Im Grunde halte ich mich immer an meinen persönlichen Leitsatz:

“Man muss nicht der Beste sein, nur besser als man jemals war.

In diesem Sinne…bleibt gesund, diszipliniert und erfreut euch an diesem Sport.